ich gehe davon aus, dass nicht jeder aus diesem Forum im WOG (World-of-Guzzi.de) mitliest.
Deshalb hier eine Zusammenfassung meiner Erfahrung mit einem Fahrwerkstuning bei Franzracing.
Ist eventuell Interessant für alle, die mit dem Serienfahrwerk unzufrieden sind und keinen Bock oder keine Kohle für Öhlins oder für Wilbers überhaben.
Also los gehts...
Zum Abschluß der Saison habe ich mich entschlossen, dem Fahrwerk meiner Scandalo (Centauro) manieren beizubringen. Anlass dafür war eine immer grösser werdende Unzufriedenheit mit dem White Power Serienfahrwerk.
AUSGANGSSITUATION
* Die Gabel ist zu weich, geht beim scharfen Bremsen teils auf Block.
* Das Federbein ist sehr unsensibel.
* Schnell gefahrene Kurven muss ich korrigieren, es gibt kaum eine saubere Linie (unruhig, kippelig).
* Front und Heck federn unharmonisch - Bodenwellen werden vorne gut geschluckt, hinten ins Kreuz geprügelt. Das Öffnen der Druckstufe am Federbein lindert die Situation, bringt aber mehr Unruhe in sehr schnellen Kurven.
WAS WURDE GEMACHT?
Nach gründlicher Recherche im Web habe ich die Scandalo nach Wegberg (bei Mönchengladbach) zu Franzracing in Kur gegeben. Morgens hin, Abends wieder heim. Knapp 1000km Fahrt, die sich gelohnt haben.
Federbein
* Das Federbein (50mm Gehäusedurchmesser) lässt sich öffnen und überarbeiten. (Es handelt sich um eine abgespeckte WP-Variante. Das obere Auge ist nicht schwimmend gelagert, Zyluinder ist oben nicht verschraubt sondern verschweisst.)
* Mein Federbein war defekt, die originale Feder für mich zu hart (gute 100kg).
* Alle Innereinen wurden erneuert, neuer Dämpferkolben mit Teflon beschichtet (Losbrechmoment + Gleiteigenschaften werden besser)
* Laufflächen gehohn/poliert.
* Setup geändert (andere Anordnung der Shims = Stahlplättchen, welche den Öldurchfluss der Druck/Zugstufe regulieren). Vorher war das Dämpfungsverhalten linear (sanfte und harte Schläge wurden gleichstark gedämpft). Jetzt werden leichte Unebenheiten sanft gedämpft, kommt dagegen ein harter Schlag, kann der Dämpferkolben schneller eintauchen, der Bock springt nicht mehr.
Der Augenabstand wurde von 280mm auf 285mm erhöht. Geht bei diesem WP sehr einfach (keine neue Stange nötig, einfach 2 Distanzscheiben innen entfernen).
Gabel
* War insgesamt gut, hatte aber ein zu unsensibeles Ansprechverhalten.
* Die Federrate passt, kein Tausch nötig.
* Alle Laufflächen gehohn/poliert.
* Das Setup wurde durch andere Anordnung der Shims geändert.
* Dickeres Öl eingefüllt (vorher 5er, jetzt 7,5er)
ERGEBNISSE
Nach ca. 400km kann ich folgendes feststellen:
Probefahrt 01 (Direkt bei Franzracing, ca. 15 ... 20km)
* Das Heck lässt sich jetzt mit einer Hand runterdrücken (vorher nur mit Gewalt)
* Das Heck federt sanft, ein bis zwei Klicks an der Druckstufenverstellung sind deutlich spürbar.
* Negtivfederweg ist jetzt vorhanden, das überfahren von Gullideckeln wird gut entschärft (vorher in Kreuz geprügelt).
* Der erste Eindruck ist äusserst Positiv!
Probefahrt 02 (meine Hausstrecke)
Ich habe ein neues Motorrad! Sieht aus wie die Scandalo, hört sich an wie die Scandalo.
Sobald ich aber fahre, ist es nicht mehr meine Alte - es ist ein neues Motorrad - besser als alles, was ich bisher kannte!

Die Hoppelstrecke

Eine der schlechtesten Straßen in meiner Umgebung, viele Unebenheiten, kurze Stöße, lange Senken.
An einigen Stellen kneife ich den Arsch zusammen, weil ich weiss, das ich gleich einen Schlag ins Kreuz kriege. Also kneife ich meinen Allerwertesten zusammen, und es passiert nichts. Straße neu gemacht? Nö, alter Belag.
Nächste Stelle, Ar... zusammen, es passiert wieder nichts. Kein Schlag ins Kreuz, kein Kippeln, kein Hüpfen.
Hier hat das Fahrwerk zugeschlagen. Sagenhaft, welches Schluckvermögen aus dem originalen WP Bein rauszuholen ist. Und das alles aus der schlechtesten WhitePower - Variante mit 50mm Aussendurchmesser.
Meine Cali Jackal mit Öhlinsdämpfern hinten kann das nicht so gut!
normale Straße
Heck und Front arbeiten für mein Empfinden perfekt zusammen - wie ein altes Ehepaar, welches seit 20 Jahren gemeinsam tanzt. Es wird gefedert, es wird gedämpft.
Jederzeit gibt es eine gute Rückmeldung von der Straße, ohne zu hart zu wirken.
Keine Nervosität, kein Kippeln - einfach ein sehr harmonisches und beherrschbares Fahrgefühl.
Sowas habe ich bisher nur auf einer Dynotec V11 mit angepasstem Öhlinsfahrwerk erlebt.
Die Kurvenfahrt

Aussentemperatur maximal 10 Grad, die Straßen kalt, an einigen Stellen noch feucht. Also langsam machen, Reifen warmfahren.
Nach einigen Kilometern (siehe oben, Hoppelstrecke) kommt ein kurviger Abschnitt. Auch hier gibt es eine deutliche Verbesserung zu melden. Kein kippeln zu spüren, kein Aufstellmoment bei Unebenheiten, die Zielgenauigkeit ist spürbar erhöht.
Rechts - Links - Hoppla..? Fühlt sich 20 Kilogramm leichter an. Kurvenwechsel klappt jetzt spielerischer mit weniger Krauftaufwand.
HighSpeed
* Im Bereich 150 ... 180 km/h liegt die Guzzi sehr stabil auf der Straße.
* Kein Zappeln, nichts, was für Unruhe sorgt.
* Zuvor war die Scandalo in diesem Bereich auch nicht unruhig - allerdings bleibt jetzt das Heck weiter oben, fühlt sich einfach besser und noch stabiler an.
Gabel
* Ist stabil und jederzeit mit guter Rückmeldung.
* Bei sehr langsamen Passagen (Zone 30, Ortsdurchfahrten) wirkt es jedoch ein wenig rüttelig.
* Zugstufe und Druckstufe jeweils 1 Klick reduziert (weicher) reduziert - Jetzt wird sensibler gedämpft bei weiterhin hervorragendem Gefühl für die Straße.
* Es ist unglaublich, wie sich die Karre im Vergleich zu vorher durch bzw. in Kurven dirigieren lässt.
* Kein unkontrolliertes Kippen in die Kurve, vielmehr reich schon fast der Gedanke, um sich etwas tiefer reinzulegen.
Geschwindigkeit
Bin nach meinem Empfinden relativ gemütlich und entspannt dahingebollert. Immer schön aufpassen, es gibt genug Dreckspuren von Traktoren auf den kleinen Straßen.
Nicht schneller als sonst auch ... Blick auf den Tacho ... Was issn jetzt los? Nach Gefühl bin ich 90 gefahren, der Tacho steht auf 120 ... 130.
Klartext: Wenn ich jetzt 120 fahre, fühlt es sich genauso an wie früher bei ca. 90 km/h.
FAZIT
Fantastisch,
* so ein Fahrwerk erleben zu dürfen.
* ein neues Motorrad fahren zu können (zumindest gefühlt)
* zu spüren und zu wissen, dass Komfort und Sicherheitsreserven vorhanden sind.
Bei aller berechtigten Begeisterung und Euphorie: Aus der Scandalo / Centauro wird weder eine Yamaha R1 noch eine Sänfte - aber dafür ein Motorrad mit mindestens verdoppeltem Spaßfaktor!
Nach den letzten 400km mit dem neuen Fahrwerk kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass Öhlins oder Wilber erheblich besser arbeiten.
Vielleicht kann man Unterschiede auf einem Dämpferprüfstand feststellen. Möglicherweise gibt es auf mehreren hundert Kilometern einige Stellen, wo ein Ö oder ein W einen Tick angenehmer reagieren.
Das interessiert mich aber nicht - für mich hat Franzracing ein kleines Wunder vollbracht.

Und das für eine Preis, zu dem ich nicht mal ein blankes Wilbersbeinchen bekommen hätte.
Hat jemand von Euch bereits ähnliche Erfahrungen gemacht?
Viele Grüße,
Keule